Kunst und Literatur

Dine Petrik und Beatrice Simonsen im Gespräch am 18. November 2014 in ihrer Wohnung in Wien. Das Gespräch wurde anlässlich der Recherche für die Anthologie “Grenzräume. Eine literarische Spurensuche im Burgenland” (edition lex liszt 12, 2015) geführt.

Beatrice Simonsen: Der Aufbruch aus dem Burgenland nach Wien ist für viele ein „natürlicher Weg“. Wie war das bei dir?

Dine Petrik: Mit siebzehn habe ich die Loslösung tatsächlich geschafft. Es ging bei mir immer ums Gehen. Im Laufe der Kindheitsjahre und frühen Jugend war das immer klarer geworden: wenn der Vater nicht zurückkommt, um mich zu „retten“, muss ich es selbst tun. Was mich bewogen hat, was sich in dem Haus, meinem Elternhaus, in der Nachbarschaft tagtäglich abgespielt hat, kann hier nicht artikuliert werden, umso größer die Hoffnung, dass sich mit Vaters Rückkehr alles ändern würde. Zunächst galten der 17 Jahre ältere Bruder wie auch der Vater als „Vermisste“, ein paar Jahre später ließ meine Mutter den Vater „für tot erklären“. Im Hoffen, dass er trotzdem zurückkehrt und der Frage, wo er verscharrt sein könnte, wie auch der Bruder, vergingen die Jahre. Schon in Wien habe ich die beiden über die Deutsche Kriegsgräberfürsorge suchen lassen … Mein zweiter Bruder, der als Deserteur heimgekehrt war, beging später Suizid.

Etwas, eine Kraft, die ich mir aus dem Dorf mitgenommen habe, hat mein Fußfassen in Wien unterstützt: Die Mutter hat mich als Kind an den Pflug gestellt, ich habe gearbeitet, sprich, geschuftet, bis zum Entschluss, sie zu verlassen. Mein Aufkommen in Wien: Harte Bandagen. Bürolehrgang, Fakturistin, später im pharmazeutischen Großhandel nebst anderen Brotberufen. Gewohnt auf Untermiete. Die Abende galten der Fortbildung: Abendhandelsschule Weiss. An der Kunstschule Schillerplatz und später Lazarettgasse habe ich Kurse für Zeichnen und Malen belegt gehabt, dazwischen auch gekellnert, bedient, um mich über Wasser zu halten. Gedanken an eine Rückkehr gab es nie. Die Mutter, die mir nichts Gutes nachgerufen hat, hat meinen Abgang weder akzeptiert, noch den langsam sichtbaren Wandel – den äußerlich sichtbaren, registriert, nichts hat ihren Gefallen gefunden. Dass ich mich weitergebildet habe, war ihr nichts wert.

War das eine bäuerliche Familie? Wie war dein Zuhause?

Ich bin 1942 in Unterfrauenhaid geboren, rund 900 Einwohner, neunzehn Jahre nach meinem großen Bruder, der damals im Russland-Feldzug war. Und als ich zwei war, wurde der Vater – schon an der Altersgrenze, eingezogen, angeblich wegen einer Intrige mit dem Nazibürgermeister. Jedenfalls wurde das immer fest behauptet. Der Vater war Musiker, im Maschinenhandel tätig und nebenher Kleinbauer. In diesen Kriegsjahren war ja ein Großteil der Männer nicht vorhanden, die Frauen und Kinder bestellten die Felder, das Leben ging weiter, das Korn wurde gesät und gemäht, dann kam es zur Frage: Dreschflegel. Und Vater – damals einer der wenigen in der Gegend, hatte bereits eine Dreschmaschine nebst Dieselmotor, die bei den Bauern gebraucht worden waren, er hat als „unentbehrlich“ gegolten, in einigen Dörfern war es zu Abstimmungen gekommen, doch der eigene Bürgermeister hatte ihn als „entbehrlich“ gestempelt und er wurde eingezogen. Somit hatte ich keinen Vater. Das war nicht akzeptabel. Ich hatte Hassgefühle gegen den Mann, diesen Bürgermeister, der nach dem Einmarsch der Russen zum Kommunistenbürgermeister mutiert war.

Das heißt, du hast deinen Vater fast nicht gekannt?

Aus diversen Schilderungen wusste ich, dass er eine Art Wunderknabe gewesen war. Es gab kein Buch im Haus, aber da waren seine Zeichnungen, und es gab Instrumente, mein Vater hatte eine Kapelle angelernt, an Kirtagen, Hochzeiten, haben sie gespielt, auch meine Brüder. Alle Blasinstrumente und Klarinetten wurden – bevor der Vater eingerückt ist – auseinandergenommen, die Stücke in Ölpapier gewickelt und im hinteren Stadel unter einer Strohtriste vergraben, auch Bratschen und Geigen. Wenn die Russen kommen – mit der Gefahr war wohl zu rechnen gewesen, würde alles gestohlen werden oder vernichtet. Diese Instrumente haben überlebt. Die alte Knopfharmonika, die in der Küche verblieben war, haben sich die Russen geholt. Da sind noch etliche Bilder, vom Vater nichts, ein Bild. Aber die Instrumente, sie waren mein „Missing Link“. Jede freie Minute verbrachte ich vor dem Kasten in dem sie lagerten, ich setzte zusammen, blies Töne, er stand neben mir, ich konnte ihn riechen, mit ihm reden. Das ist festgehalten: „Ein Notenstück“, in der Anthologie „Veza lebt“. Vater war also in der Gegend auch als Musikant bekannt. Diesen Vater wollte ich haben, kennenlernen. Dann bin ich gegangen.

… wohin?

Wien war und ist meine Stadt, mein Mantel, trotz Härte, trotz anfänglicher Fremdheit auf etlichen Ebenen. Aber Integration, Zugehörigkeit, ein Ich-Gefühl, hat sich auch im Dorf nie ergeben. Eine andere Herkunft haben. Später habe ich dieses Gefühl, eines wie Integration, beim Lesen entdeckt, in den Büchern. Und Wien ist mein zu Hause. Wenn ich heimfahre, am Heimatgefühl vorbei, tut mir das Herz weh. Bezugspunkte kaum. Es gibt den Friedhof, das Kriegerdenkmal, es gibt die romanisch gotische Kirche (1222 urkundlich erwähnt), es gibt ein Elternhaus, das anderen gehört und jetzt verfällt.

Wie bist du in Wien zum Schreiben gekommen?

Als Jugendliche habe ich Gedichte geschrieben. Während / nach einigen Lebensbrüchen habe ich das wieder aufgenommen, eine Art Haltesuche, während andere Haltesysteme zusammengebrochen waren. Harte Lernprozesse, das Schreiben. Der Wunsch, der Sog hin zum Schreiben war immer da, die Frage war, darf auch ich sie benutzen, diese wunderbaren Worte und Sätze, stehen sie auch mir zur Verfügung? Es entstand ein Buch: „Sonaten für Wasser und Wind“, erschien bei Edition Roetzer, das war 1990, ich war im Fünfzigsten.

Wie kamst du zu Hertha Kräftner, über die du zwei Bücher geschrieben hast?

Die Kräftners lebten zwei Jahre, von 1934 – 36, in Neutal, einen Steinwurf von Unterfrauenhaid entfernt. Hertha absolvierte in Neutal die ersten zwei Volksschul- klassen. In einem Notizbuch meines Vaters – ich fand es im Stadel im Schutt, sah ich beim Durchblättern „Kräftner Neutal“. Offenbar hat er in dem Büchl seine Tagestermine festgehalten, laut Auskunft meiner Mutter machte er auch Transportfahrten mit Traktor und Anhänger, letzterer hatte große, aufblasbare Gummiräder, ich sehe sie noch. Nun, genau konnte mir das keiner sagen, aber womöglich hat er den Kräftner-Umzug von Neutal nach Mattersburg gemacht. Für mich eine Art Bezugspunkt, Ausgangspunkt. Einige Kräftner-Gedichte kannte ich schon als Jugendliche. Als ich später ihre Gedichte las, fand ich sie dunkel und spröde. Ihr Leben interessierte mich aber. 1997 erschien „Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich (…)“ bei Otto Müller.

Und warum noch ein zweites Buch 2011 „Die verfehlte Wirklichkeit“ über sie?

Ja, warum … Mir die Kräftner-„Bearbeitungen“ vor Augen haltend, war zunächst eines auffällig: Ein Herunterziehen und zugleich Hochheben. Als „nicht normal, weil depressiv“ wurde sie hingestellt, das Hauptinteresse galt ihren Liebschaften, ihrer „Vielmännerei“, als „Nymphomanin“ wurde sie festgemacht. Und sonst? Die Auslöser für ihre Beschädigungen, Zerrüttungen waren vernachlässigbar gewesen. Ich hatte andere Zugänge und Fragen: Was passierte im Kräftnerhaus in der Lisztgasse 24 beim Eintritt des russischen Offiziers, der ein Blutbad anrichtet – zwei Schwerverletzte (darunter eine Fünfjährige) und eine Tote, mit der 17 jährigen Kräftner, bzw. ihrem Innerem? Sie hat das einfach so weggesteckt? Sie trug „nicht“ an der ihr zugewiesenen Schuld in den Augen der MattersburgerInnen? Wurde ihr dieses Gefühl genommen, sie gefragt, wie gehts, brauchst du was? Woher nahm die „zartbeseitete“ die Kraft, das Haus, die Stube, den steten Verletzungsort Mattersburg trotzdem immer wieder zu betreten? Und da waren andere Fakten, nicht wirklich zum Hersagen, Fakten, die zu verschweigen waren, die Frauen verschwiegen oder in den Suizid getrieben haben; die Auslöser zahlreicher Störungen wie manisch-depressiv, bipolar etc. wie man das heute nennt.

Ja, ich fing wieder an, zweites Buch. Zum Sager „von Kind an depressiv.“ Sie selbst schrieb: „Ich war ein ruhiges, klares Kind, aber die Ereignisse am Kriegsende …“ Nun, öfter auch bei Kräftners Bruder Günter nachgefragt, recherchiert. Zum Sager „… vier auf einmal“, die sie zuletzt gehabt haben soll: Da war Harry Redl, der, während sie 1950 in Paris auf ein Treffen hofft, nach Kanada emigriert war. Es gibt intelligente, berührende, ums Leben ringende Briefe von Kräftner, nicht nur an die kurze Affaire Redl. Sie hat sich Halt versprochen, ein Handlungsbündnis, eine Hand. Sicher ein Fehler, die Haltsuche bei Männern. Otto Hirss, ihre wohl schmerzlichste Lebenserfahrung, der, sowie er von der Nachricht ihres Todes (Veronal) Kunde hat, ihren Nachlass an sich rafft, um ihn zu vermarkten. Otto Hirss, mit dem sie vier Jahre zusammen gewesen war. Zuletzt Wolfgang Kudrnovsky, „der ihr den letzten Stösser gegeben hat“, wie mir einer seiner Freunde gesagt hat. Und mit dem Viktor Frankl soll sie … wie zu hören und lesen gewesen war. Nein, da war null! In den umfassenden Textgespinsten „Beschwörungen eines Engels“ – Engel meint Frankl, hat Kräftner Halt gefunden, diese „Beschwörungen“ sind Fiktion und sonst nichts. Am Leben erhalten hat sie das nicht. Nun, für mein Buch gab es immerhin positive Rezeptionen, insbesondere in der Süddeutschen Zeitung.

Noch zu einem anderen Thema, das dir wichtig ist: das Reisen, über das du in „Jenseits von Anatolien“ geschrieben hast.

Nicht nur in dem Buch habe ich über das Reisen geschrieben. Da waren von Kind an Sehnsuchtsorte, Sehnsuchtsworte: Troja, von einem Schliemann zu lesen, der die Stadt ausgegraben hat; was der sonst noch ausgegraben hat. Homers Odysse lesen. Babylon. Ägypten. Mythen und Geschichten. Sollte ich etwas im Leben schaffen, dann muss ich auf diesen Böden stehen. Ich habe meine Familie nach Troja geschleppt, die Kinder waren noch ziemlich klein, wie auch nach Ägypten: Weltwunderboden. Als Kind unvorstellbar, dass es Jahrtausende vor der Zeitrechnung Hochkulturen gegeben hat. Die Schrift, Mathematik, Architektur, die Pyramiden, die die Menschheit überdauern werden. Sehnsuchtsorte, die ich aufsuchen durfte. Und in den Irak: Uraltes Agrarland, erste Gesetze unter Hammurapi. Ninive. Nimrud, Babylon, Ur. Uruk. Ich war da, als Saddam noch regiert hat. Mein Gefühl, dass das Sehnen nach diesen Orten war da, bevor ich über sie las, lernte, wusste.

Woher hattest du dieses Wissen? Durch die Schule?

Bücher, mir Bücher besorgt, ausborgt. Schule ja, vernachlässigbar, wie gesagt, ging es um anderes. In der letzten Zeit daheim kamen Bücher ins Haus: man war bei Donauland. Außer mir hat keiner gelesen. Und der Konzern in Wien, in dem ich jahrelang gearbeitet habe, hatte eine Betriebsbücherei. Ich habe gelesen und alles Historische verschlungen.

Das heißt, du hast dir die Bildung praktisch selbst erarbeitet?

Und. Schon bin ich in einer Verteidigungsstellung. Bildung. Nicht jeder hat die Chance auf eine, hat die Chance auf ein Studium. Nicht jeder kann auf „Herkunft“ pochen. Jahrelang habe ich mir eine andere gewünscht. Solche, wie mich, hat und wird es geben. Und es trotzdem wagen: Das Leben, das Schreiben, das Wissenwollen-und-müssen. Lernprozesse bis heute. Ich stehe zu meinen – wie ich gern sage, drei Leben, ich stehe zu meinem dritten, selbstbestimmten. Schreiben und Leben. Hineinsinken in bereichernde Welten. Eine wunderbare Erfahrung, ein großes Geschenk, eine Magie.

 

_______________________________________________________________________

 

LitGes - Literatur und so weiter

DER FALL HERTHA KRÄFTNER UND DINE PETRIK

Ein Interview mit der Autorin Dine Petrik, anlässlich Ihrer umstrittenen Recherchen über die Wiener Schriftstellerin Hertha Kräftner. Kräftner war Existentialistin und litt an ihren schmerzhaften Kindheitserinnerungen: der II. Weltkrieg, das Eindringen der Roten Armee und der Tod ihres Vaters. Sie nahm sich mit 23 Jahren 1951 auf Grund ihrer Depressionen das Leben. Hans Weigel nannte sie die „Selbstmörderin auf Urlaub“. Am 26. April 2008 wäre sie 80 Jahre alt geworden.
Das Interview führte Alois Eder, Sommer 2007.

Das Gesicht meines toten Vaters
das meinem ähnlich sieht,
wandelt in den Friedhofbäumen
hin und her.

(aus "Das Gesicht meines toten Vaters", 22. Oktober 1950)

Ganz von Anfang: was hat Ihr Interesse für Hertha Kräftner, ihr Werk und ihr Leben geweckt, und inwiefern ist sie als Literatin auch ein Vorbild für Sie?

Mein Interesse an Hertha Kräftner hielt sich lange in Grenzen. Auch begann ich ja spät mit dem Schreiben. Als angehende Fünfzigerin, während etlicher Lebensbrüche, wagte ich es: Gedichte entstanden. Kräftners Werk? Ich kannte Gedichte, längst nicht alle. Sie berührten mich, hinterließen Beklemmung. Zu dunkel - imaginär wie körperlich - zu beladen. Und problembeladen war ich selber genug. Vorbild, nein. Bewunderung, ja, ihre Verdienste als burgenländische Autorin, ihr Wert für das Land. Bruchstücke ihrer Geschichte kannte ich schon als Jugendliche, spätere Zuordnungen diverser Mosaiksteine in ihre Lebenszeit wurden dadurch erleichtert. Mich mit ihr anlegen, hätte ich nie gewagt, aber alles begann stehenden Fußes.

Der Anstoß, den Sie erwähnen?

Ja, mein Vater. Nach einem Wohnungswechsel, mitten im Aufräumen, lagen da ein Packen Noten und einige Notizbüchl meines Vaters, der, als ich Zweieinhalb war, eingezogen wurde, trotz Altersgrenze und Stempel Unentbehrlich. Das wusste ich als Kind. Erinnerung an ihn hatte ich keine. Er kommt aus dem Krieg. Das war mein Satz. Vater war meine Verankerung, mein Antrieb. Jeden Papierfetzen von ihm hatte ich an mich gerafft. Nun blätterte ich seine Termine auf, auf jedem Blatt ein Tagesvermerk - Name, Dorf - und - Kräftner Neutal. Meine umgehend einsetzende Recherche: Zwischen 1934-36 gab es im Nachbardorf Neutal nur einen Kräftner, den am Gemeindeamt. Vater hat also die Kräftners gekannt. Er könnte die Übersiedlung nach Mattersburg gemacht haben, hieß es. Vater war Maschinenhändler und hatte Transportwägen. Auch als Musiker hat er wohl viele Leute gekannt. Plötzlich war mir Hertha Kräftner ganz wichtig. Meine erste Prosa. Ich entdeckte eine wunderbare Autorin und einen ums Leben ringenden jungen Menschen.

Beim letzten Symposion über Hertha Kräftner anlässlich ihres 55. Todestags, waren Sie zwar anscheinend nicht als Referentin tätig, dennoch ist Ihr Beitrag im Tagungsband "Alles ist in mir". Notate zu Hertha Kräftner (ed. Clemens K. Stepina) enthalten. Wie kommt das?

Wie das kommt - wie man auf mich kam? Das hat mich auch gewundert. Internet, so der Herausgeber. Wiewohl es mein Buch ja nicht gibt. Ein mir befreundeter Autor sagte, ausgelackt, die haben dich ausgelackt. Und daran hatte ich mich gewöhnt. In den letzten Jahren hat sich nun doch einiges um die Figur Hertha Kräftner bewegt - Symposien und Analysen. Etliche Publikationen. Und unter den Anmerkungen wiederholen sich die Autorennamen, auch jene, die bloß zwei Sätze zum Thema Kräftner publiziert haben. Unbeleuchtet geblieben sind dabei - unter all den Analysen und wissenschaftlichen Abarbeitungen an Kräftner - die Auslöser ihrer Traumen, die Geschehnisse in Mattersburg. Ausgelackt die, die eben diese Geschehnisse beleuchtet.

Jetzt ist Ihr biographisches Buch über die Lyrikerin Kräftner (Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich mit Hertha K.) schon 10 Jahre auf dem Markt, aber die Erregung darüber ist anscheinend noch immer nicht abgeflaut. Worauf führen Sie zurück, dass es sich um ein solches Dauerthema handelt?

Ich sagte, ich akzeptiere das Auslacken. Anpinkeln lasse ich mich nicht, auch nicht von Machttypen, die meinten, es mit dem Mikro in der Hand tun zu müssen. Dass ich mit zwei Sätzen darauf reagiere, löste Hass aus ... Hier keine Seilschaften haben, bedeutet; darf der Eine hinhauen, macht’s die Andere nach. Ähnlich war es wohl bei Kräftner - ist es auch noch posthum. Ein Dauerthema.

Zu Ihren Recherchen, wie haben Sie begonnen?

Ich habe Zugänge in Kräftners Dunkel gesucht und  bin auf Fakten gestoßen. Aus dem Kräftnerschen Nebenzweig ließen sich einige aufstöbern. Im Raum Gloggnitz leben Mattersburg-Stämmige, die nennen sich Gräftner. Einem in Wien lebenden Kräftner bin ich freundschaftlich verbunden. Den aus Mattersburg nach Kobersdorf zugezogenen Kräftner - seine Zuckerbäckerei nahe beschädigter Synagoge - zerstörter Burg, kannte ich als Kind - oft fuhren wir Kinder ja mit den Rädern nach Kobersdorf, um mit dem aus der Pipe rinnenden Gratis-Sauerwasser unsere Flaschen zu füllen, diese Bäckerei besuchte mit Stand auch die Jahrmärkte meines Dorfes. Ein Nachkömmlling dieses Geschäfts lebt heute bei Oberwart. Eine Tante Kräftners sprach ich in Mattersburg, daneben etliche andere Mattersburger. Mit Herthas Bruder telefonierte ich in Stockholm. Zwei ihrer Freunde habe ich kontaktiert. Herthas Urne – auch das ließ sich recherchieren, wurde umgebettet - vom Zentralfriedhof-Wien in den Atzgersdorfer, zur mütterlichen Verwandtschaft.

Ein Anklagepunkt scheint zu sein, dass Sie Fakten und Fiktion vermengen, zumindest was die Einfühlung in die Psyche der 23jährigen betrifft, die so tragisch geendet hat. Wie abgesichert waren Ihre Recherchen, was die Vergewaltigung durch die Russen im Jahre 1945 angeht?

Ich denke, kein Autor kommt, sobald er zu schreiben beginnt, an der Fiktion vorbei. Fiktion.

Sich in Kräftners verstörte, beladene, schuldbeladene Psyche hineinfühlen - ja, Fiktion. Ich kenne die Depression nicht, auch diese war aufzuspüren. Fiktion, genau an der Wirklichkeit. Entlang der Geschehnisse. Anhand der Recherchen. Kräftners Bild ist in meiner Biografie -  meiner Arbeit, vorhanden. Die Vergewaltigung ist ein Fakt. So etwas lässt sich nicht erfinden. Eine Anmaßung. Und es ging mir nie darum, Kräftners Intimsphäre aufzuspüren.

Offenbar ist die Dichterin auch eine Identifikationsfigur für die Literatur ihres Bundeslands im Allgemeinen. Was war die Rolle des ORF-Studios Burgenland in dieser Angelegenheit, die Sie da kurz erwähnten?

Am 16. März 1997, gleich nach Präsentation meines Buches, strahlte man(n) eine Vernichtungssendung aus. Sie strahlt bis heute. Von Beginn weg wurde Kräftner auf eine Schräge gestellt. Man(n) hat seinen burgenländisch billigen Sermon abgesondert, bei dem es zu bleiben hat. Dass sie sich in Wien, im von männlichen Ressentiments verdümpelten Betrieb eine Lebenssicherung als Autorin und/oder ein Genesen und Vergessen neben einem Partner zu schaffen suchte, mit welchem Einsatz auch immer, dem Verlust der Würde? wer spielt hier Richter? Sätze wie - sie wählte den Freitod, gewiss die sauberste Lösung ihrer gewiss nicht geringen Probleme - mit welchen Das Werk 1977 vom Verlag zur Besprechung verschickt worden ist. Also unsauber ...? Das sind Sätze, die Kräftner noch posthum beschmutzen.

Als Ihre Kontrahenten treten zum Teil auch die Herausgeber der letzten Kräftner-Werkausgaben wie Max Bläulich auf. Sie deuten an, dass es sich da auch um eine Gender-Angelegenheit handelt, bei der es den männlichen Bewunderern nicht ganz gegeben ist, die weibliche Psyche der Autorin auszuloten. Inwiefern trifft das für Kräftners Zeitgenossen, wie Hans Weigel oder Hermann Hakel zu, und inwiefern auch für die Nachwelt?

Gender-Angelegenheit - ich deute das an? Nun, ich erinnere mich weder daran, dass man(n), frau sich für die Gründe ihrer Verstörung fiktiv, noch kalkuliert wissenschaftlich interessiert hätte. Und Kräftners Zeitgenossen wussten wenig bis nichts. Kräftner ist an ihren Traumen und Schuldgefühlen erstickt, hat sich offenbar weder Frankl, noch Weigel oder Hakel anvertraut, Hakel – er nennt sie - allzu willige Nymphomanin - hält fest, was er von ihr weiß - die verwitwete Mutter, Herthas verhaltene, aber deutlich tiefe Liebe zum jüngeren Bruder, und, so Hakel, ...ihr Vater war als Soldat gestorben. Hertha war weder fähig, sich verbal vom Geschehen im Elternhaus – eine Exekution und eine versuchte zweite - die sie mit Schuld beladende Verwundung des Vaters, sein 5 Monate währendes einsames Sterben, zu befreien - sie selbst schreibt ja - der jähe Tod meines Vaters, noch war sie fähig, ihre eigenen Verwundungen zu artikulieren. Hat sie das unsauber gemacht? Wer hinterfragt die vielfachen Verstörungen dieser hochsensiblen jugendlichen Psyche? Innerlich erstickt. Heute sagen wir wahrscheinlich schwere posttraumatische Belastungsstörungen dazu.

Es klingt an, dass Schriftstellerinnen, wie das auch Helmut Niederle in seinem Symposiums-Referat thematisiert, generell an der Macho-Perspektive ihrer Kollegen leiden könnten - haben Sie da auch selber einschlägige Erfahrungen gemacht?

Erfahrungen wären da genügend zu machen gewesen. Und zu machen.
Macht frau sich so Seilschaften?

Über alle Querelen zu diesen Themen hinaus stellt sich natürlich aus der allzu kurzen Biographie Hertha Kräftners die Frage nach Verhütungsmöglichkeiten bei Suizidgefährdeten jungen Künstlern. Da scheinen bei Kräftner auch die Kontakte zu Psychiatern wie Frankl und Ringel nicht sehr geholfen zu haben. Was kann man für die Betreuung angehender Talente daraus lernen?

Reden. Hilfe zulassen. Nicht verdrängen. Mut zum Gespräch, zum Gewesenen. Gilt für Opfer wie Täter. Und wir sind beides.

Haben die Befürworter einer strikten Trennung zwischen der Würdigung des Werks und der Wahrnehmung seiner biographisch-psychologischen Hintergründe recht, und soll sich daher die literarische Öffentlichkeit aus dem Privatleben der Autoren heraushalten, wenn es diese nicht selber zu den Tratschkolumnen drängt?

Strikte Trennung unmöglich. Für mich ist alles miteinander verbunden. Rein wissenschaftliche Abarbeitungen sind mir meistens zu trocken, zu ineffizient. Und wenn wissenschaftlich über Hertha Kräftners fabelhafte Welt fabuliert werden darf, um mich zu destabilisieren, fabelhaft! In dem Zusammenhang, schreibt die Dame, sind Spekulationen über eine mögliche Vergewaltigung Kräftners während des Krieges und eine daraus resultierende Abtreibung nicht anders als unseriös zu bewerten. Nur soviel: Hier hat sich frau auf unseriöseste Art und Weise was zusammenfabuliert – und hat für eine seriöse Recherche keinen Finger gerührt.  

Und letztens: Ist mit den genannten Publikationen Ihr Interesse an der Autorin erschöpft oder planen Sie weitere Aktivitäten in Sachen Kräftner?

Derzeit bin ich kräftig müde.

Biografie: Dine Petrik
Geboren 1942 im mittleren Burgenland, Tochter eines Musikers, um diesen – 1945 betrogen. Erwachsen geworden in Wien (lebt dort seit 1960). Diverse Abendschulungen, u.a. Handels- schule, Wiener Kunstschule. Diverse Jobs, vom Bürolehrling bis zur Sekretärin. Zwei Kinder großgezogen. Freie Autorin seit Ende der achtziger Jahre. Mehrere Preise und Stipendien. Veröffentlicht in verschiedenen Verlagen sind: Essays, Gedichte, Reiseliteratur. Zuletzt: Bibliotheca Alexandrina. Unterwegs auf Weltwunderboden. Ausgewählte Gedichte, Podium Porträt, Bd. 32, 2007. Alles ist in mir. Biographische Arbeit über die Lyrikerin Hertha Kräftner, 2007.

 

_______________________________________________________________________

 

INTERVIEW (gekürzt) mit Alois Eder: Literaturzeitschrift ETCETERA „Von Anatolien bis Ottakring – Expetition im Goldenen Dreieck der Sprache“, 17.Oktober 2004

Etcetera: Also, Ihre Lyrik ist ja gleichsam eine Expetition...?

Petrik: Ja, es ist wie eine Expetition in einen Dschungel. Es ist so, dass massenhaft Wortmaterial herumflirrt, das Festhalten gelingt rudimentär, mit der Zeit sammelt sich ein Wust an bekritzeltem Papier an. Aus diesem Dschungel wähle ich aus, zunächst entstehen lyrische Gebilde, Figurationen, Skulpturen, Rohzustand, quasi, der noch zu bearbeiten ist, abliegen muss. Ich kann da nicht weg, nicht vom Weglassen der Interpunktion, nicht von diesem Zwang zu formen mit Worten, Sätzen, sie haben den Band ja gelesen, Skulpturen, Figuren – das Vorwort verweist darauf, aber auch, dass es keine steinharten Gedichte sind die D.P. schreibt. Vielleicht muten manche Gedichte tatsächlich hart an, wiewohl sie von einem lyrischen Material bewegt sind, das aber der Sinn nicht gefügig durchzieht. Ich möchte ja so wenig wie möglich ausdrücken, bloß einen roten Faden ziehen, ein dünnes Fädchen, auch ein unterbrochenes – bei einem behauenen Stein, einer Skulptur lassen sich oft auch unter-brochene Fäden sehen, Steinadern. In diesen Gedichtskulturen steckt die Angst vor Verlusten, sagte jemand zu mir.

Etcetera: Das ist aber auch etwas, was sich realisiert in der Lesung, beim lauten Vorlesen ...?

Petrik: Und macht das Lesen auch schwierig, man darf den Satz nicht hacken, obwohl er – besagter Form wegen, abgehackt ist, z.B. das Wort oder: das O ist der letzte Buchstabe der oberen Zeile – ein Ausruf?, das DER beginnt die nächste Zeile mit einem anderen Bild ...

Etcetera: Ich hab ja den Eindruck gehabt, dass es da zwei Extreme gegeben hat, das eine ist eben der Wortdschungel, das andere ist der barocke Garten, nicht mit den abgezirkelten Bosketten, dort setzt das eine das andere voraus, baut das eine auf dem anderen auf ...

Petrik: Ja, wer kann das wissen?

Etcetera; Ja, ich ...übrigens, da ist mir ein Wort aufgefallen, irgendwas mit Jambus ...

Petrik: Ich und Janus, der Titel eines Gedichtes. das Doppelgesicht findet sich oft in den Gedichten.

Etcetera: Gutes Stichwort. Wie verhält sich das zwischen Lyrik und Prosa-Schreibern?

Petrik: Eine andere Welt, die erst noch zu finden ist. Dem Satz Zeit und Raum geben im Dschungel. Aber ich habe ja schon Prosa geschrieben, mein Buch über Hertha Kräftner, erstes Prosabuch. Mittlerweile habe ich auch ein Sachbuch - im weitesten Sinn, geschrieben, Jenseits von Anatolien. Sehr literarisch, geht aber stark ins Historische, das sind halt verschiedene Extreme, die Historie ist ein sehr starkes Element bei mir. Und ich bin ein östlicher Mensch, Anatolien, Mesopotamien, da musste ich hin. Im Burgenland geboren, das ist östlicher Standplatz, Väter, Großväter waren ja Ungarn, lebten in der K.u.K-Zeit in Nachbarschaft mit den Türken, die Türken hatten große Teile Ungarns besetzt, meine Kindheit war voll mit Geschichten von Türken- und Kuruzzeneinfällen, es
gab Kämpfe, die Bauern vom ganzen Umkreis haben sich mit Dreschflegeln, Gabeln und Rechen gewehrt und sogar mal gesiegt. In unsere mittelalterliche Wehrkirche haben sich die Leute geflüchtet, die Kirche ist von einer Mauer mit Schießscharten umgeben. Der Ort ist mein Trittbrett gen Osten.

Etcetera: Aber worauf ich jetzt hinaus will: Ich hab da bei einer Podium-Lesung künstlerische Prosa gehört, also Richtung Erzähltext, da geht’s im Gegensatz zur Lyrik um geordnete Darstellung?

Petrik: Die geordnete Darstellung ist schon im Sachbuch gewahrt wiewohl auch das lyrische Element stark vorhanden ist. Und ob das in einem Sachbuch richtig oder falsch ist, ist mir egal.

Etcetera: Weiß man das im Vorhinein, wenn man zum Beispiel in ein Diktafon spricht oder sich Notizen macht, was dann daraus wird, Lyrik oder Prosa?

Petrik: Arbeit mit einem Diktafon?  Entsetzlich. Da kommt weder Lyrik noch Prosa heraus-

Etcetera: Mein Eindruck, dass man sozusagen isolierte Einfälle hat, die notiert, und daraus macht man dann was, ist das dann immer schon klar, das wird ein Gedicht – oder eine Erzählung?

Petrik: Das kommt darauf an, wo ich stehe. Bin ich in der Lyrik, geht sie mit mir durch, in den Schlaf, plötzlich findet sich das lange gesuchte Wort, der bessere Satz. Das ist wie ein Sog, wie auch Mesopotamien, Babylon einer war, wusste von Kindesbeinen an, dort musste ich hin, den Boden betreten.

 
     
HOME